Pathologischer Jähzorn (Intermittent explosive disorder) – Psychische Störungen – Impulskontrollverluststörungen
- Definition
- Anfällig für Wutanfälle durch kleineres ‚emotionales Gehirn‘?
- Krankhafter Jähzorn durch Katzenparasit Toxoplasma gondii?
- Aggressionsstörung
- Weitere News- / Forschungsartikel dazu
- Erfahrungen / Kommentare
Definition
(Pathologischer) Jähzorn oder Jähzornigkeit (engl.: intermittent explosive disorder – IED abgekürzt), im ICD 10 (F63.8) auch bezeichnet als ‚Störung mit intermittierend auftretender Reizbarkeit‘, ist eine Verhaltensstörung, gekennzeichnet durch explosive Ausbrüche von Wut und Aggression oft ausufernd in Raserei, die in keinem Verhältnis zur Situation stehen (z.B. impulsives Schreien durch relativ belanglose Ereignisse ausgelöst). Wird manchmal auch als Wutstörung oder Aggressionsstörung bezeichnet.
Impulsive Aggression tritt nicht vorsätzlich auf, und wird durch eine unverhältnismäßige Reaktion auf jede Provokation – real oder vermeintlich – definiert. Einige Personen berichten über affektive Veränderungen vor einem Ausbruch (z.B. Spannung, Stimmungsschwankungen etc.).
Anfällig für Wutanfälle?
Es könnte am kleineren ‚emotionalen Gehirn‘ liegen
12.01.2016 Neuroimaging-Studien zeigen, dass die frontolimbischen Regionen des Gehirns – Strukturen, die die Emotionen regulieren – eine wichtige Rolle in der Biologie des aggressiven Verhaltens spielen.
Störung mit intermittierend auftretender Reizbarkeit
Ein in der Zeitschrift Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging herausgegebener Artikel berichtet, dass Personen mit intermittent explosive disorder (IED – Störung der Impulskontrolle oder pathologischer Jähzorn) ein deutlich geringeres Volumen der grauen Substanz in diesen frontolimbischen Gehirnstrukturen haben. Mit anderen Worten: Diese Menschen haben ein kleineres „emotionales Gehirn“.
Bild: Gerd Altmann
„Intermittent explosive disorder ist im DSM-5 als wiederkehrende, problematische, impulsive Aggression definiert“, erklärt Studienautor Dr. Emil Coccaro von der University of Chicago.
Obwohl die pathologische Jähzornigkeit häufiger vorkommt als bipolare Störung und Schizophrenie zusammen, glauben viele Wissenschaftler, Ärzte und Laien, dass diese impulsive Aggression einfach ein ’schlechtes Verhalten‘ ist, das bloß eine Veränderung der ‚Einstellung‘ bedarf, sagte er. „Jedoch bestätigen unsere Daten, dass die durch das DSM-5 definierte aggressive Störung IED ein Problem in der Struktur des Gehirns ist und nicht einfach eine Störung der Persönlichkeit.“
Dr. Coccaro und seine Kollegen berichten auch von einer bedeutsamen inversen Korrelation (Zusammenhang) zwischen der Ausprägung der Aggression und dem Volumen der frontolimbischen graue Substanz.
Gestörte Entwicklung des ‚emotionalen Gehirns‘
Die Forscher analysierten hochauflösende Magnetresonanztomographie-(MRT)-Scans von 168 Teilnehmern: 57 mit IED, 53 gesunde Kontrollen und 58 psychiatrische Kontrollteilnehmer. Das Team fand eine direkte Korrelation zwischen tatsächlichem aggressivem Verhalten und dem Ausmaß der Reduktion des grauen Substanzvolumens, beide in einer dimensionalen Beziehung verbindend.
D.h.: Je stärker der pathologische Jähzorn, desto geringer das Volumen des ‚emotionalen‘ Gehirnbereichs.
Bei allen Teilnehmern war ein verringertes Volumen in den frontolimbischen Gehirnstrukturen mit einer erhöhten Aggressivität verbunden, kommentierte Dr. Cameron Carter, Professor für Psychiatrie und Verhaltensforschung an der University of California. „Diese wichtigen Befunde legen nahe, dass eine gestörte Entwicklung der Netzwerke des Gehirns (die die Emotionen regulieren) der Neigung einer Person für Wut und Aggression zugrundeliegen könnte.“
© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Chicago, Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging; Jan. 2016
Krankhafter Jähzorn durch Katzenparasit Toxoplasma gondii?
25.03.2016 Eine in der Zeitschrift Journal of Clinical Psychiatry veröffentlichte Studie der University of Chicago untersuchte mögliche Verbindungen zwischen einer Infektion mit dem über kontaminierten Fleisch und Katzen übertragenen Parasiten Toxoplasma gondii und der Ausbildung von pathologischem Jähzorn.
Studienautor Emil Coccaro und Kollegen untersuchten 358 erwachsene Teilnehmer aus den Vereinigten Staaten, die sie auf Intermittent explosive disorder (IED – pathologischer Jähzorn), Persönlichkeitsstörungen, Depression und andere psychiatrische Störungen testeten. Die Studienteilnehmer wurden auch auf Charaktermerkmale einschließlich Wut, Aggression und Impulsivität untersucht.
Bild: Gerd Altmann
Intermittent explosive disorder Merkmale
Intermittent explosive disorder wird durch das Diagnostische und Statistische Handbuch der psychischen Störungen Fünfte Ausgabe (DSM V) als wiederkehrende, impulsive, problematische Ausbrüche wörtlicher oder physischer Aggression definiert, die unverhältnismäßig bzw. inadäquat für die sie auslösenden Situationen sind.
Es wird angenommen, dass etwa 16 Millionen US-Amerikaner von IED betroffen sind – mehr als bipolare Störung und Schizophrenie zusammen; in Deutschland werden die Zahlen verhältnismäßig ähnlich liegen.
Die Teilnehmer wurden in eine von drei Gruppen kategorisiert. Ungefähr ein Drittel hatten IED. Ein Drittel waren gesunde Kontrollen ohne psychiatrische Erkrankungen. Das restliche Drittel waren Personen, die mit einigen psychischen Störungen aber nicht IED diagnostiziert wurden. Diese letzte Gruppe diente als Kontrolle, um IED von möglichen verwechselbaren psychiatrischen Faktoren zu unterscheiden.
Toxoplasmose und Aggression
Es zeigte sich, dass die Personen aus der mit IED diagnostizierten Gruppe mehr als doppelt so wahrscheinlich positiv auf Toxoplasmose-Exposition (22 Prozent) getestet (Bluttest) wurden – im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe (9 Prozent).
Ungefähr 16 Prozent der psychiatrischen Kontrollgruppe wurden ebenfalls positiv auf Toxoplasmose getestet; sie hatten aber ähnliche Aggressions- und Impulsivitätswerte wie die gesunde Kontrollgruppe. IED-diagnostizierte Teilnehmer punkteten sehr viel höher auf beiden Maßen als die anderen beiden Kontrollgruppen.
Über alle Teilnehmer erreichten die Toxoplasmose-positiven Personen deutlich höhere Werte bei Wut und Aggression. Die Befunde zeigen eine Verbindung zwischen Toxoplasmose und größerer Impulsivität, aber wurde der Aggressionseinfluss herausgerechnet, zeigte sich die Verbindung als nicht bedeutend. Diese Entdeckung weist darauf hin, dass Toxoplasmose und Aggression am stärksten miteinander korrelierten (im Zusammenhang standen).
„Unsere Arbeit weist darauf hin, dass die latente Infektion mit dem Toxoplasma gondii Parasit die Gehirnchemie in einer Weise verändern kann, die die Gefahr für aggressives Verhalten vergrößert“, sagte Coccaro, Doktor der Medizin.
Zusammenhang aber keine Kausalität
Die Studienergebnisse können jedoch nicht sagen, ob die Infektion mit Toxoplasma gondii das Ausmaß der Aggression vergrößern oder IED verursachen kann.
„Korrelation ist nicht gleich Kausalität, und deshalb sollten die Leute nicht ihre Katzen vor die Tür setzen“, sagte Studienkoautor Royce Lee, Doktor der Medizin.
„Wir verstehen die beteiligten Mechanismen noch nicht – es könnte eine verstärkte entzündliche Reaktion, direkte Gehirnveränderungen durch den Parasiten sein, oder sogar eine umgekehrte Verursachung, bei der aggressive Personen eher dazu neigen, Katzen zu haben oder nicht durchgegartes Fleisch zu essen.“ Weitere Forschungsstudien sind in Vorbereitung.
© PSYLEX.de – Quellenangabe: University of Chicago, Journal of Clinical Psychiatry; März 2016
Mehr zu T. gondii unter: Toxoplasmose und Schizophrenie, Psychisch krank durch Toxoplasma gondii?, Toxoplasma gondii und Suizid, Gedächtnisbeeinträchtigung durch Toxoplasmose
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